Archiv von der ‘Medien’ Kategorie
Balz Bruppacher, Journalist, ehemaliger Chefredaktor des Schweizer Dienstes der Nachrichtenagentur AP/ddp
Wozu noch Journalismus? (und zehn weitere Fragen)
_Fühlen Sie sich über das Geschehen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gut informiert?
_Können Sie sich im Internet einen gültigen Überblick über das Tagesgeschehen verschaffen?
_Tun Sie das auch?
_Wenn Sie wählen müssten: Würden Sie lieber auf Information oder auf Unterhaltung verzichten?
_Was stellen Sie sich unter nachhaltigem Journalismus vor?
_Welche Beispiele aus welchen Medien kommen Ihnen in den Sinn?
_Gehören die Nachrichtenmedien zum Industrie- oder zum Dienstleistungssektor?
_Können Sie in Zeitschriften die Inserate und den redaktionellen Teil auf Anhieb auseinanderhalten?
_Bescheidenheit, Fachkenntnisse, Fairness, Fantasie, Hartnäckigkeit, Mut, Neugier, Selbstkritik, Sorgfalt, Unabhängigkeit : Welches sind die drei wichtigsten Voraussetzungen für guten Journalismus?
_An welchen drei dieser Tugenden mangelt es heute am meisten im Journalismus?
Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen und derzeit am Berkman Center for Internet & Society der Harvard University, USA
Wenn wir uns im Internet umschauen, dann stellen wir fest, dass es eine ganze Reihe von neuen Inhalten gibt, die tatsächlich netzspezifisch innovativ sind oder die eine Hybridform aus traditionellen Inhaltskategorien und neuen Formen der Netzkommunikation darstellen. Dazu gehören zum Beispiel Weblogs. Ausserdem erwachsen dem Internet neue Erzählkulturen, die sich alle Möglichkeiten und Formen der Informationsvermittlung und des Erzählens dienstbar machen. Dazu zählen journalistische Artikel oder auch Romane, an denen interessierte Leser im Netz mitschreiben können, um so wiederum zu Autoren zu werden. …… Wer sich allein aus Blogs informieren will, muss viel Zeit und Energie aufwenden. Deshalb bleibt auch im Internet ein Platz für guten Journalismus. Seine Funktion ist es, einen Beitrag für die sachliche, soziale und zeitliche Synchronisation unserer Gesellschaft zu liefern. Sein Mittel ist die Thematisierung oder das Agenda Setting. Und sein Leitcode ist aktuell/nicht aktuell. Wenn wir uns als Bürger, Konsumenten, soziale Gefährten jeden Tag neu verständigen wollen, brauchen wir diesen Journalismus, der Recherche, investigatives Arbeiten und eine professionelle Beobachtungsgabe sowie ein entsprechendes Einschätzungs- und Einordnungsvermögen voraussetzt.
Die Aktualität ist dabei der zeitliche Filter, mit dem auch der Journalismus im Netz seine Auswahl trifft, Themen für die Leser selektiert. Und zuweilen ist dieser Filter durch die Beschleunigung so eng geworden, dass nur noch der Zeitfaktor eine Rolle spielt und andere Selektionskriterien auf der Strecke bleiben. Schnelligkeit schlägt Sachgenauigkeit und Relevanz. Im Netz wird das zum Teil so bleiben. Aber in den traditionellen Medien erleben wir seit einiger Zeit eine erfreuliche Neubesinnung auf die sachliche und soziale Aktualität in Form von debattenorientierter Hintergrundberichterstattung, längeren Stücken, fast literarisch erzählenden Reportagen. Dafür bleibt die Sprache auch so wichtig, weil sie nicht nur Instrument, sondern im Wortsinne Verwirklichungsmedium des Journalismus ist. Die Formen werden also vielfältiger. Aber die Kernaufgabe des Journalismus bleibt bestehen ebenso wie seine exklusive Codierung durch Aktualität. Wenn er sie im Sinne gesellschaftlicher Synchronisation zu nutzen versteht und dabei nicht die Ohren vor dem «writing out loud» verschliesst, dürfen wir uns auf die Zukunft des Journalismus freuen. Er wird dann weit mehr hervorbringen, als «content» zu beschreiben vermag.
Roger Köppel, Chefredaktor und Verleger Weltwoche
Natürlich braucht es Journalisten, die ihre Aufgabe ernst nehmen. Journalisten müssen schreiben, was ist. Sie haben die Realität zu spiegeln, Missstände aufzudecken und Meinungsvielfalt herzustellen. Demokratien neigen zu Konformismus. Journalisten müssen Gegensteuer geben, skeptisch bleiben. Was nicht von selber ans Licht kommt, aber ans Licht kommen muss, haben Journalisten zu enthüllen.
Der Staat ist das grösste Machtmonopol im Land. Die wichtigste Aufgabe des Journalisten ist die Kontrolle des Staates und seiner Organe. Diese Aufgabe kann an keine andere gesellschaftliche Instanz delegiert werden. Ohne die Kritik und Skepsis hervorragender Journalisten und Zeitungen kann die Schweiz nicht funktionieren. Journalisten sind entscheidend dafür mitverantwortlich, dass die Schweiz zukunftsfähig bleibt und Wohlstand produziert.
Urs Gossweiler, CEO der Gossweiler Media
Statement zur Zukunft des Journalismus
Multimedialität als Herausforderung und Chance
Heute sind sich Mediennutzer gewohnt, innert weniger Klicks einen Artikel, die passenden Bilder dazu, einen Fernsehbeitrag und Originaltöne zu einem Thema zu finden. Niemand wundert sich mehr darüber, dass Youtube zu jedem noch so kleinen Ereignis ein Video ausspuckt. Der Umgang mit multimedialen Inhalten ist selbst-verständlich geworden, weil das Internet die Möglichkeiten dazu bietet. Der Nutzer hat sich daran gewöhnt und hat daraus ein Bedürfnis zum Konsum von multimedialem Content entwickelt. Doch welcher Verlag kann von sich behaupten dieses Bedürfnis vollumfänglich zu befriedigen?
Multimediajournalisten sind gefragt
Es wird immer weniger spezialisierte Printjournalisten, Fernseh-journalisten und Radiojournalisten geben, weil es Journalisten braucht, die dem heutigen Selbstverständnis der multimedialen Nutzung der Konsumenten gerecht werden. Journalisten müssen die heutige Multimedialität nicht nur konsumieren, sondern selbst auch produzieren können. Der neue multimediale Journalist muss innert kurzer Zeit fähig sein, den Output für sämtliche Medienkanäle selbst zu generieren. Solche Journalisten sind noch rar.
Grosse Medienkonzerne überleben
Wenn die Verlage einerseits begreifen, dass sie multimedialer werden müssen, um dem Bedürfnis der Kunden gerecht zu werden, und andererseits nur wenige Journalisten heute in der Lage sind, multimediale Inhalte in Personalunion herzustellen, ergibt sich folgendes Problem: Es überleben die grossen Medienkonzerne, die es sich leisten können, an eine Geschichte fünf Leute zu hängen, welche den multimedialen Output innert kurzer Zeit generieren. Dadurch werden nur noch Grossereignisse in den Medien abgebildet, weil kleinere Geschehnisse für die Verlage nicht finanzierbar sind. Lokale Ereignisse werden höchstens monomedial abgebildet und werden für die Nutzer uninteressant, weil sie sich Multimedialität gewöhnt sind.
Kleine Ereignisse wandern ins Web 2.0
Die kleinen Geschehnisse werden in Nischenmärkte gedrängt und nur noch von unbezahlten Privatpersonen im Web 2.0 publiziert und diskutiert. Eine Entwicklung, die vom journalistischen, demokratischen, gesellschaftlichen und föderalistischen Standpunkt aus nicht befürwortet werden kann. Wenn lokale Geschehnisse, sei dies aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Kultur oder im Sport nicht mehr in einer breiten Gesellschaftsschicht diskutiert werden können, weil sich die Diskurse nur noch in spezialisierten Foren auf Facebook, Twitter, Blogs und co fortsetzen, so verarmt unsere Gesellschaft. Der lokale Zusammenhalt und das Wissen, was sich im Umfeld des Wohnorts ereignet, geht verloren. Wenn sich die Verlage dessen nicht bewusst werden, wird die Schweiz, die zu Recht stolz auf ihre föderalistisch-demokratische Struktur ist, zunehmend vor sich hin erodieren.
Alleskönner sind gefragt
Für Journalisten heisst dies, dass sie neben den journalistischen Grundanforderungen zusätzlich kostengünstig fähig sein müssen, gut zu texten, schöne Bilder zu schiessen, eine Videokamera zu bedienen und ein Mikrofon richtig zu platzieren. Der Umgang mit multimedialen Produktionsabläufen und die multimedialen Kenntnisse der Journalisten müssen in der Aus-und Weiterbildung gezielt vermittelt werden. Auch die Verlagshäuser sind gefordert: Sie müssen Redaktionssysteme bereitstellen, welche den Eigenschaften der neuen Journalisten Rechnung trägt und die Multimedialität vereinfacht.
Mehr multimediale Qualität, mehr Aufmerksamkeit, mehr Werbeeinnahmen
Wenn der Mediennutzer merkt, dass er im Multimediaverbund der Verlage mehr und qualitativ Besseres geboten bekommt, als er im Internet selbst findet, wird er seine Aufmerksamkeit vermehrt den Verlagen schenken. Damit wird der Kreis geschlossen, denn wer mehr Aufmerksamkeit erhält, wird auch mehr und wertvollere Werbung verkaufen können, was zur Folge hat, dass eine qualitativ hochstehende Publizistik finanziert werden kann.
Martin Wagner, Verleger AZ Medien
Die Frage «Wozu noch Journalismus» möchte ich mit einem heute noch in allen Teilen geltenden Zitat von Thomas Jefferson, dem 3. Präsidenten der USA, beantworten, das aus dem Jahre 1787 stammt: «Der Weg, um die irreguläre Beeinflussung der Menschen zu verhindern, besteht darin, sie via Zeitungskanal voll über ihre Angelegenheiten zu informieren und dafür zu sorgen, dass die Zeitungen die gesamte Masse der Menschen erreichen. Unsere Regierungen basieren auf der freien Meinung der Menschen, und wenn ich wählen müsste zwischen einer Regierung ohne Zeitungen oder zwischen Zeitungen ohne Regierung würde ich mich für letzteres entscheiden.» Jefferson trat also bereits Ende des 18. Jahrhunderts aus freiheitlichen und demokratischen Überlegungen für eine freie Presse und eine subventionierte Postzustellung der Zeitungen ein. Journalisten müssen heute wie eh und je dafür sorgen, dass Leute, die im öffentlichen oder im privaten Sektor oder im Nonprofit-Bereich an der Macht sind oder nach Macht streben für ihr Wirken zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen die Informationsbedürfnisse der Menschen, für die sie schreiben, als legitim betrachten. Sie müssen plausible Methoden anwenden, um die Wahrheit von der Unwahrheit zu trennen oder zumindest dafür sorgen, dass Lügner und Betrüger die Menschen nicht in Katastrophen führen. Schliesslich muss der Journalismuss auch weiterhin das Frühwarnsystem der Nation bilden, damit möglichst viele Probleme vorhersehbar werden und gelöst werden können bevor sie zu Krisen ausarten.Ich bin also nicht der Meinung, dass sich der Jounalismus in seinem Kern ändert. Die Aufgabe ist die gleiche geblieben, geändert haben sich lediglich die Verbreitungsmodalitäten.
Peter Wanner, Verleger AZ Medien
Journalismus braucht es mehr denn je. Und zwar guten. Warum?
Weil wir die Welt sonst nicht mehr begreifen. Weil wir nicht mehr verstehen, was vor sich geht.
Diese Welt ist verrückt geworden, sie stürzt von Krise zu Krise. Die Märkte sind nicht mehr im Gleichgewicht, vieles ist aus dem Lot geraten. Selbstgemachte Naturkatastrophen wie die Oelpest im Golf von Mexiko gehören schon fast zur Tagesordnung. Auf die Finanz- und Wirtschaftskrise folgt eine gigantische Schuldenkrise – mit unabsehbaren Folgen. Ein täglich sich abspielender Wahnsinn, an den wir uns gewohnt haben. Gutes Unterhaltungskino.
Weil sich die Ereignisse derart überschlagen, die Probleme immer komplexer werden, das Tempo ständig zunimmt, sind die meisten Politiker überfordert. Sie hinken mit der Problemlösung hinterher. Gouverner, c`ést prévoir – das war einmal. Regierende und Politiker sind längst zu Feuerwehrleuten mutiert – andauernd damit beschäftigt, Brände zu löschen.
Hier muss guter Journalismus ansetzen. Die aus den Fugen geratene Welt, all die verrückten Dinge und Bilder, die wir sehen, wollen erklärt werden. Warum ist es so und nicht anders gekommen? Was haben sich die Akteure dabei gedacht? Wie hat es sich wirklich abgespielt? Wer sind die Verantwortlichen? Wer die Drahtzieher? Was stimmt und was stimmt nicht? Wo wird vertuscht und wo wird schamlos gelogen?
Guter Journalismus muss nicht neu erfunden werden, er muss sich nur auf seine Vorbilder und auf eine einfache und eindringliche Sprache besinnen. Angetrieben von unablässiger Neugierde, von unersättlichem Erkenntnisdrang geht der Vollblutjournalist ans Thema heran, leuchtet hinter die Fassade, recherchiert hartnäckig, bohrt tiefer, kommt auf den Punkt und hilft so der Wahrheit auf die Sprünge. Was für ein spannender Beruf!
Die Realität so darzustellen, wie sie wirklich ist in all ihren Facetten – das ist faszinierend genug. Es braucht gar keine Zuspitzung, keine Uebertreibung. Denn längst gilt: La réalité dépasse la fiction.
Markus Spillmann antwortet dem MAZ
Eigenartig, diese Frage – ich habe sie mir in meinem ganzen Berufsleben so noch nie gestellt. Offenbar nehme ich etwas für selbstverständlich, das es nicht ist; oder etwa nicht mehr?
Hätte die Frage gelautet, «wozu noch guter Journalismus?», wäre mir eine Antwort leichter gefallen. Journalismus ist mehr als handwerkliches Genügen, mehr als die rein funktionale Haltung, Inhalte kostenlos oder gegen Entgelt zu produzieren. Denn das können viele – und immer mehr, der technologische Fortschritt sei Dank. Guter Journalismus aber definiert sich über Kompetenzen, über Talente, über Fleiss und Ehrgeiz, über Idealismus und – ja – Passion. Handwerkliches Genügen ist dabei eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Denn auch schlechter Journalismus kann handwerklich hervorragend gemacht sein. Jeder Chirug kann mit akuraten Schnitten den Blinddarm herausoperieren. Allein: Ohne richtige Diagnose, warum der Patient über Bauchschmerzen klagt, ist der Eingriff unter Umständen nichts wert.
Warum also Journalismus – den guten? – Nun, weil es in einer Welt voller Informationen Platz hat für eine Berufsgattung, die für andere Menschen diese Informationsfülle sichtet, ordnet, nach Relevanz prüft, Mehrwerte schafft durch Ausleuchtung und Hintergrund, durch Recherche und Offenlegung, durch Analyse und – ja, gerade auch in Zeiten der Vielstimmigkeit – durch Meinung. Das galt vor 100 Jahren genauso wie es heute gilt – und es wird auch morgen noch so sein.
Das Handwerkliche mag sich ändern, das Prinzip aber bleibt sich gleich: Guter Journalismus schafft Ordnung, sorgt für Transparenz, reduziert Komplexitäten, bietet einen Kompass und leuchtet den Weg. Journalismus ist mehr als das Nachplappern von Informationen; Journalismus schafft Inhalte. Das war, das ist und das bleibt eine hehre Aufgabe, eine wunderschöne Herausforderung, nicht ohne Fallstricke, nicht ohne Widersprüche. Vielleicht liebe ich meinen Beruf deshalb so sehr, und vielleicht ist das auch der Grund, dass ich mir diese Frage nie gestellt habe. Kurzum: Ich bin Journalist.
Pietro Supino antwortet dem MAZ
«Journalismus war, ist und bleibt sehr wichtig. Die Menschen auf der Welt rücken immer näher zusammen. Gleichzeitig fragmentiert sich die Gesellschaft immer mehr. Das stark wachsende Angebot unterschiedlicher Kommunikationsplattformen ermöglicht es jeder Gruppe mit gemeinsamen Interessen, über geografische und soziale Grenzen hinweg untereinander zu kommunizieren. Die Folge sind eng verknüpfte, von anderen aber ebenso klar abgegrenzte Teilgesellschaften.
Guter Journalismus und die Geschichten, die diesen Journalismus auszeichnen, bilden Klammern um unsere fragmentierte Gesellschaft. Guter Journalismus bewegt sich über gesellschaftliche Grenzen hinweg und schafft Möglichkeiten eines verbindenden Diskurses. Unsere Herausforderung als Verleger ist es, vor dem Hintergrund des gewaltigen Strukturwandels gleichzeitig neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und unsere traditionsreichen Medien in ihren jeweiligen Eigenarten in die Zukunft zu führen, ohne dabei unsere auch politische Unabhängigkeit zu verlieren.Ich bin guten Mutes, dass uns dies gelingen wird. Denn guter Journalismus ist, davon bin überzeugt, für die Gesellschaft unverzichtbar.»