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Kurt Imhof, Prof. Kommunikationswissenschaften und Soziologie, Universität Zürich

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Kurt Imhof

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Wozu noch Journalismus?

Das «noch» in der Frage lässt zwei Interpretationen zu: 1. Es braucht Journalismus im Zeitalter der Netzwerkmedien nicht mehr. 2. Der Journalismus hat so stark an Geltung verloren, dass sein Nutzen fraglich wird.

ad 1: Netzsurfer bilden keine Gesellschaft
Netwerkmedien wie Blogs, Talks und Social Web bilden fluide themenzentrierte Öffentlichkeiten. D.h. sie können die unabdingbaren Grundfunktionen demokratischer Öffentlichkeit nicht selbst erfüllen. Die Demokratie setzt eine medienvermittelte Öffentlichkeit voraus, die als permanenter Entdeckungszusammenhang allgemeinverbindlich zu lösender Probleme, der Kontrolle und Legitimation der politischen Institutionen und der Integration der Bürgerinnen und Bürger dient. Gesellschaftsweite Koorientierung ist ohne dauerhaft institutionalisierte Informationsmedien nicht zu haben ohne diese Koorientierung funktioniert die Demokratie nicht.

ad 2: Der Geltungsverlust stimmt und ist gefährlich.
Das Qualitätsbewusstsein hat sich auf Seiten der Medienmacher wie der Medienkonsumenten massiv verändert, der Journalismus verliert auf fatale Weise an Berufsprestige und die erfahrenen Journalisten in arrivierten Medien haben eine tiefe Berufszufriedenheit. Besonders gravierend sind die Sozialisationseffekte beim Publikum der 15 bis 35 jährigen, die massgeblich über Gratisangebote (Print/Online/Privatradios) die Gesellschaft wahrnehmen. Sie migrieren viel zu wenig auf Bezahlmedien, verunmöglichen dadurch die Geschäftsmodelle, die guten Journalismus finanzieren können und bilden auch die Rekrutierungsgenerationen eines reputationsschädigenden Billig-Journalismus der Rezyklierung von Newssites, in Gratiszeitungen und bei Privatradios. Diese Gattungen haben allesamt nicht genügend Ressourcen für eine professionellen Journalismus.

Fazit: Was braucht die Demokratie?
Wenn den Demokraten die Demokratie lieb ist, dann kommen wir ohne neue Finanzierungsgrundlagen für guten Journalismus nicht aus. Professioneller Journalismus ist der wichtigste Service public in Demokratien. Nötig ist das Folgende: 1. Die primären Träger der Publizistik sind neben den öffentlichen Medien die Abonnementszeitungen. Deren Geschäftsmodell funktioniert freilich nicht mehr. Wir müssen zu einem Mediensystem kommen, das durch staatliche und zivilgesellschaftliche Mittel (im Rahmen einer eidgenössischen Stiftung) auf der Basis von Qualitätskriterien guten Journalismus – unabhängig von seinen Plattformen – fördert. 2. Die Selbstkannibalisierung des professionellen Journalismus durch Gratismedien muss on- und offline beendet werden. Auch die Medienkonsumenten müssen lernen, dass guter Journalismus nicht gratis zu haben ist. 3. Es braucht eine unabhängige Medienbeobachtung, die die Qualitätsstandards erarbeitet und prüft, auf deren Basis die Finanzierung eines professionellen Journalismus gesichert werden kann.

Geschrieben von Maz Blogger

7. September 2010 um 08:47

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