Archiv vom Juli, 2010
Urs Gossweiler, CEO der Gossweiler Media
Statement zur Zukunft des Journalismus
Multimedialität als Herausforderung und Chance
Heute sind sich Mediennutzer gewohnt, innert weniger Klicks einen Artikel, die passenden Bilder dazu, einen Fernsehbeitrag und Originaltöne zu einem Thema zu finden. Niemand wundert sich mehr darüber, dass Youtube zu jedem noch so kleinen Ereignis ein Video ausspuckt. Der Umgang mit multimedialen Inhalten ist selbst-verständlich geworden, weil das Internet die Möglichkeiten dazu bietet. Der Nutzer hat sich daran gewöhnt und hat daraus ein Bedürfnis zum Konsum von multimedialem Content entwickelt. Doch welcher Verlag kann von sich behaupten dieses Bedürfnis vollumfänglich zu befriedigen?
Multimediajournalisten sind gefragt
Es wird immer weniger spezialisierte Printjournalisten, Fernseh-journalisten und Radiojournalisten geben, weil es Journalisten braucht, die dem heutigen Selbstverständnis der multimedialen Nutzung der Konsumenten gerecht werden. Journalisten müssen die heutige Multimedialität nicht nur konsumieren, sondern selbst auch produzieren können. Der neue multimediale Journalist muss innert kurzer Zeit fähig sein, den Output für sämtliche Medienkanäle selbst zu generieren. Solche Journalisten sind noch rar.
Grosse Medienkonzerne überleben
Wenn die Verlage einerseits begreifen, dass sie multimedialer werden müssen, um dem Bedürfnis der Kunden gerecht zu werden, und andererseits nur wenige Journalisten heute in der Lage sind, multimediale Inhalte in Personalunion herzustellen, ergibt sich folgendes Problem: Es überleben die grossen Medienkonzerne, die es sich leisten können, an eine Geschichte fünf Leute zu hängen, welche den multimedialen Output innert kurzer Zeit generieren. Dadurch werden nur noch Grossereignisse in den Medien abgebildet, weil kleinere Geschehnisse für die Verlage nicht finanzierbar sind. Lokale Ereignisse werden höchstens monomedial abgebildet und werden für die Nutzer uninteressant, weil sie sich Multimedialität gewöhnt sind.
Kleine Ereignisse wandern ins Web 2.0
Die kleinen Geschehnisse werden in Nischenmärkte gedrängt und nur noch von unbezahlten Privatpersonen im Web 2.0 publiziert und diskutiert. Eine Entwicklung, die vom journalistischen, demokratischen, gesellschaftlichen und föderalistischen Standpunkt aus nicht befürwortet werden kann. Wenn lokale Geschehnisse, sei dies aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Kultur oder im Sport nicht mehr in einer breiten Gesellschaftsschicht diskutiert werden können, weil sich die Diskurse nur noch in spezialisierten Foren auf Facebook, Twitter, Blogs und co fortsetzen, so verarmt unsere Gesellschaft. Der lokale Zusammenhalt und das Wissen, was sich im Umfeld des Wohnorts ereignet, geht verloren. Wenn sich die Verlage dessen nicht bewusst werden, wird die Schweiz, die zu Recht stolz auf ihre föderalistisch-demokratische Struktur ist, zunehmend vor sich hin erodieren.
Alleskönner sind gefragt
Für Journalisten heisst dies, dass sie neben den journalistischen Grundanforderungen zusätzlich kostengünstig fähig sein müssen, gut zu texten, schöne Bilder zu schiessen, eine Videokamera zu bedienen und ein Mikrofon richtig zu platzieren. Der Umgang mit multimedialen Produktionsabläufen und die multimedialen Kenntnisse der Journalisten müssen in der Aus-und Weiterbildung gezielt vermittelt werden. Auch die Verlagshäuser sind gefordert: Sie müssen Redaktionssysteme bereitstellen, welche den Eigenschaften der neuen Journalisten Rechnung trägt und die Multimedialität vereinfacht.
Mehr multimediale Qualität, mehr Aufmerksamkeit, mehr Werbeeinnahmen
Wenn der Mediennutzer merkt, dass er im Multimediaverbund der Verlage mehr und qualitativ Besseres geboten bekommt, als er im Internet selbst findet, wird er seine Aufmerksamkeit vermehrt den Verlagen schenken. Damit wird der Kreis geschlossen, denn wer mehr Aufmerksamkeit erhält, wird auch mehr und wertvollere Werbung verkaufen können, was zur Folge hat, dass eine qualitativ hochstehende Publizistik finanziert werden kann.
Ariane Ehrat, CEO Engadin St. Moritz
Solider Journalismus erwünscht
Liebe Journalistin, lieber Journalist
Eines vorweg: Sie, die heute mitten im journalistischen Berufsleben stehen, erleben eine herausfordernde Ära.
Die mir gestellte Frage lautet: Wozu noch Journalismus?
Auf das Risiko hin, dass Sie mich für sehr konservativ halten, behaupte ich: Journalismus ist eine berufliche Disziplin mit Rechten und Pflichten wie andere Berufe sie auch haben und einhalten sollten.
Medienschaffende braucht es da, wo es wichtig ist, Informationen aufzunehmen, zu analysieren, wiederzugeben oder je nach Gefäss zu bewerten. Oft liegen diese Informationen nicht vor der eigenen Haustüre, sondern müssen über weite Strecken oder Wissensbarrieren hinweg eingeholt und ausgetauscht sowie beurteilt werden.
Wenn ich mich für den Journalismus ausspreche, meine ich die Berichterstattung und Meinungsbildung in ihrer ganzen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Breite und Tiefe.
Dabei bin ich mir bewusst, dass die Medienlandschaft umgepflügt worden ist respektive immer noch umgepflügt wird.
Glaubwürdigkeit und Verantwortung
Einfach auszuüben ist dieser Beruf sicher nicht. Journalisten mit fundierter Ausbildung und genügend Zeit für Recherchen sollten meines Erachtens unabdingbare Ressourcen jedes Mediums sein. Nur wer recherchiert hat und die Fakten kennt, kann diese objektiv beurteilen. Und nur dann sollte er oder sie Beiträge publizieren.
Pfannenfertige Convenience-Produkte schmecken halt weder im Journalismus noch in der Kulinarik gleich gut wie Gerichte aus der Haute Cuisine.
Da Nachrichten immer hybrider, das heisst über immer mehr Kanäle verbreitet werden, sollte dem Ehrenkodex umso mehr Sorge getragen werden. Mir scheint es wichtig, dass Themen relevant oder zumindest interessant sind, Nachricht und Kommentar getrennt werden und publizierte Fakten der Wahrheit entsprechen.
Qualität statt Kopie
Als Tourismusdirektorin lese ich manchmal Artikel über Engadin St. Moritz, ohne meine Arbeit darin wieder zu erkennen. In solchen Momenten wünsche ich mir eine solide und verlässliche Medienlandschaft. Eine Landschaft mit mehr Pflicht statt Kür, die auf bestmöglicher Ausbildung basiert und die aktuellen Themen ausgewogen wiedergibt. Ich wünsche mir aber auch eine Medienlandschaft, die trotz aller wirtschaftlichen Unbill gesund ist und immer mal wieder eine erfreuliche Blüte hervorbringt.
Die alten Pflichten sind auch die neuen
Für mich ist ein Leben ohne Medienschaffende undenkbar. Ich schätze es, über meinen Tellerrand hinaus über Neuigkeiten ins Bild gesetzt zu werden sowie die Möglichkeit zu haben, via Medien die Aktivitäten von Engadin St. Moritz einem breiten Publikum bekannt zu machen. Auch lebe ich gut damit, wenn über mich oder über unsere Region kritisch berichtet wird – solange Fakten ausgewogen zum Zug kommen und nicht nur eine einzige Sichtweise dargestellt wird.
Sie sehen, ich stehe den Medien pragmatisch gegenüber. Ich kehre zum Ausgang meiner Überlegungen zurück: Journalismus ist eine berufliche Disziplin mit Rechten und Pflichten wie andere Berufe sie auch haben und einhalten sollten. Aus dieser Sicht ist Journalismus äusserst erhaltenswert.
Martin Wagner, Verleger AZ Medien
Die Frage «Wozu noch Journalismus» möchte ich mit einem heute noch in allen Teilen geltenden Zitat von Thomas Jefferson, dem 3. Präsidenten der USA, beantworten, das aus dem Jahre 1787 stammt: «Der Weg, um die irreguläre Beeinflussung der Menschen zu verhindern, besteht darin, sie via Zeitungskanal voll über ihre Angelegenheiten zu informieren und dafür zu sorgen, dass die Zeitungen die gesamte Masse der Menschen erreichen. Unsere Regierungen basieren auf der freien Meinung der Menschen, und wenn ich wählen müsste zwischen einer Regierung ohne Zeitungen oder zwischen Zeitungen ohne Regierung würde ich mich für letzteres entscheiden.» Jefferson trat also bereits Ende des 18. Jahrhunderts aus freiheitlichen und demokratischen Überlegungen für eine freie Presse und eine subventionierte Postzustellung der Zeitungen ein. Journalisten müssen heute wie eh und je dafür sorgen, dass Leute, die im öffentlichen oder im privaten Sektor oder im Nonprofit-Bereich an der Macht sind oder nach Macht streben für ihr Wirken zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen die Informationsbedürfnisse der Menschen, für die sie schreiben, als legitim betrachten. Sie müssen plausible Methoden anwenden, um die Wahrheit von der Unwahrheit zu trennen oder zumindest dafür sorgen, dass Lügner und Betrüger die Menschen nicht in Katastrophen führen. Schliesslich muss der Journalismuss auch weiterhin das Frühwarnsystem der Nation bilden, damit möglichst viele Probleme vorhersehbar werden und gelöst werden können bevor sie zu Krisen ausarten.Ich bin also nicht der Meinung, dass sich der Jounalismus in seinem Kern ändert. Die Aufgabe ist die gleiche geblieben, geändert haben sich lediglich die Verbreitungsmodalitäten.
Peter Wanner, Verleger AZ Medien
Journalismus braucht es mehr denn je. Und zwar guten. Warum?
Weil wir die Welt sonst nicht mehr begreifen. Weil wir nicht mehr verstehen, was vor sich geht.
Diese Welt ist verrückt geworden, sie stürzt von Krise zu Krise. Die Märkte sind nicht mehr im Gleichgewicht, vieles ist aus dem Lot geraten. Selbstgemachte Naturkatastrophen wie die Oelpest im Golf von Mexiko gehören schon fast zur Tagesordnung. Auf die Finanz- und Wirtschaftskrise folgt eine gigantische Schuldenkrise – mit unabsehbaren Folgen. Ein täglich sich abspielender Wahnsinn, an den wir uns gewohnt haben. Gutes Unterhaltungskino.
Weil sich die Ereignisse derart überschlagen, die Probleme immer komplexer werden, das Tempo ständig zunimmt, sind die meisten Politiker überfordert. Sie hinken mit der Problemlösung hinterher. Gouverner, c`ést prévoir – das war einmal. Regierende und Politiker sind längst zu Feuerwehrleuten mutiert – andauernd damit beschäftigt, Brände zu löschen.
Hier muss guter Journalismus ansetzen. Die aus den Fugen geratene Welt, all die verrückten Dinge und Bilder, die wir sehen, wollen erklärt werden. Warum ist es so und nicht anders gekommen? Was haben sich die Akteure dabei gedacht? Wie hat es sich wirklich abgespielt? Wer sind die Verantwortlichen? Wer die Drahtzieher? Was stimmt und was stimmt nicht? Wo wird vertuscht und wo wird schamlos gelogen?
Guter Journalismus muss nicht neu erfunden werden, er muss sich nur auf seine Vorbilder und auf eine einfache und eindringliche Sprache besinnen. Angetrieben von unablässiger Neugierde, von unersättlichem Erkenntnisdrang geht der Vollblutjournalist ans Thema heran, leuchtet hinter die Fassade, recherchiert hartnäckig, bohrt tiefer, kommt auf den Punkt und hilft so der Wahrheit auf die Sprünge. Was für ein spannender Beruf!
Die Realität so darzustellen, wie sie wirklich ist in all ihren Facetten – das ist faszinierend genug. Es braucht gar keine Zuspitzung, keine Uebertreibung. Denn längst gilt: La réalité dépasse la fiction.
Annemarie Huber-Hotz, ehem. Bundeskanzlerin, Präsidentin SGG, Vizepräsidentin SRK und Fachhochschulrat HSLU
Trotz der rasanten Entwicklung in der Information und Kommunikation braucht es auch in Zukunft Journalismus, d.h. Berichterstattung über das tägliche Geschehen. Mit der Globalisierung wird auch dieses Geschehen immer umfangreicher und komplexer. Die Herausforderung für Journalistinnen und Journalisten besteht darin, aus dieser Masse an Informationen die für ihre Zielgruppen relevanten Informationen so auszuwählen, aufzubereiten und zu vermitteln, dass sie sich ein möglichst «wahres» Bild über das Geschehen und die Zusammenhänge machen können. «Wahrheit», Echtheit zu vermitteln ist eine Kunst, die vom Vermittler – vom Journalisten/in und Verleger/in – nicht nur eine hohe ethische Gesinnung voraussetzt, sondern auch Können. Deshalb ist die Ausbildung äusserst wichtig. Sie muss – wie der Journalismus selbst – höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Informationsvermittlung und Kommunikation sind mehr als ein auf Gewinn und Sensation ausgerichtetes Business, sie sind eine staatspolitische Aufgabe.
Peter Sauber antwortet dem MAZ
Als Formel-1-Team leben wir unmittelbar davon, dass die Medien über unseren Sport berichten. Deshalb ist uns eine gute Zusammenarbeit wichtig. Allerdings muss ich sagen, dass sich das Medienumfeld im vergangenen Jahrzehnt drastisch verändert hat und für uns schwieriger geworden ist. Insbesondere das Internet spielt dabei eine entscheidende Rolle. Meldungen aus teilweise unbekannten Quellen, von Leuten, die in einer dunklen Kammer sitzen, gehen in Sekundenschnelle um die Welt. In der Formel 1, in der jeder Schritt der Fahrer oder Teamchefs entweder durch Fotos, oder neuerdings Videos, festgehalten wird, sind wir diesem Medium besonders intensiv ausgesetzt.
Ich stelle fest, dass eine Kultur des Abschreibens Einzug gehalten hat. So verbreiten sich Meldungen, richtige und falsche, in kürzester Zeit, immer mit globaler Reichweite. Durch die Schnelligkeit des Internets geraten zudem Printmedien unter Druck. Oftmals leidet dann die Qualität. Braucht es künftig Journalismus? Ja, es braucht ihn sogar mehr denn je. Es braucht gut ausgebildete JournalistInnen, die sich interessieren, die recherchieren, die Dinge hinterfragen, die Fakten verifizieren, und die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.
Peter Sauber, Unternehmer, Sauber Motorsport