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All about hacks: Interview mit Jemima Kiss

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5 Erkenntnisse aus dem Interview von Hugo Bigi mit der Medien- und Technologiereporterin Jemima Kiss vom Guardian.

  • Ein integrierter Newsroom ist „oh god, absolutely exhausting“.
  • Der Guardian beschäftigt 30 Web-Entwickler. Aber auch 100 würde die Arbeit nicht ausgehen.
  • Sie versucht, so viele neue Kommunikationstools wie möglich auszuprobieren, um jene zu finden, die am besten funktionieren. Aktueller Favorit: Twitter.
  • Artikel sollten immer mit einem Bild und einer Byline zum Autor / zur Autorin versehen werden. Das schafft Transparenz und erhöht die Qualität der Leserkommentare drastisch.
  • Die Zukunft des Journalismus „is all about hacks and hacking“

Zur Person: JEMIMA KISS
Medien- und Technologiereporterin beim Guardian in London
> The Guardian
> Persönliche Website
> Jemima Kiss bei Twitter

Geschrieben von David Bauer

7. September 2010 um 19:34

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Die Revolution: Referat von Wolfgang Blau

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„Es gehört zum Wesen von Revolutionen, dass ein Teil der Elite lieber untergeht, als sich zu verändern.“

Wolfgang Blau beschreibt den Wandel, den der Journalismus aktuell durchmacht, als echte Revolution. Eine Revolution, die weh tut. Eine Revolution, die fordert und überfordert. Vor allem aber eine Revolution mit ungewissem Ausgang: „Das Netz schafft für uns alle eine neue Ordnung. Ob diese besser oder schlechter sein wird als die jetzige, das wissen wir noch nicht.“

Die schwierigste und wichtigste Aufgabe, die Medienmacher haben: Sie müssen den Kulturwandel mitmachen und gleichzeitig steuern. Laut Blau bewegt sich die Branche nicht schnell genug, sie verschwende viel zu viel Zeit mit nostalgischen Rückblicken.

Journalisten täten sich so schwer mit der Veränderung, weil einst so sicher geglaubte Grenzen verschwimmen. Insbesondere zwischen Profis und Amateuren. Es geht um nichts weniger als die Identität des Journalisten, seine Rolle und das Selbstverständnis, mit dem er arbeitet.

Blau streicht drei Kernpunkte des Journalismus von heute heraus:

1) Interaktion muss als genuiner Bestandteil des Journalismus verstanden werden. Wir können nicht Kommunikation als unsere Kernkompetenz ansehen, wenn wir im Netz als schweigende Inseln wahrgenommen werden. Rein rechnerisch gibt es „da draussen“ immer jemanden, der zu einem Thema, über das wir berichten, besser Bescheid weiss als wir. Wir müssen diese Leute einbeziehen und ihnen auf Augenhöhe begegnen.

2) Transparenz ist heute selbstverständlich. Politiker in den USA und England werden von verschiedenen Organisationen und Medien bis ins kleinste Detail durchleutet. Auch wir als Journalisten müssen unseren Lesern gegenüber transparenter werden. Journalisten müssen offen legen, wo sie stehen, mit wem sie wie verbunden oder verflochten sind. Glaubwürdigkeit ist, wenn sie es nicht immer schon war, so sicher im heutigen Umfeld unser höchstes Gut.

3) Mehr Journalisten müssen lernen, wie man programmiert, mehr Programmierer müssen zu Journalisten werden. Nur so sind wir in der Lage, die riesigen Datenberge sinnvoll für unsere Arbeit zu nutzen und für unsere Leser aufzubereiten. Es ist eine Pflichtverletzung jedes Journalisten, der sich als Teil der vierten Gewalt versteht, wenn er das Internet nicht gut versteht. Das Internet ist quasi Betriebssystem unserer Gesellschaft, nicht einfach nur Vertriebskanal.

Journalisten sollen sich nicht beklagen, sondern sich privilegiert fühlen. Uns steht eine unglaublich spannende Zeit bevor. Wir haben das Privileg, in einer Zeit als Journalisten zu arbeiten, in der sich die Branche neu erfindet.

Was wir als Journalisten brauchen um zu bestehen: Mut. Mut uns zu verändern und Mut, das Ungewisse zu umarmen.

Zur Person: WOLFGANG BLAU
Chefredaktor ZEIT Online in Hamburg
> ZEIT Online
> Persönliche Website
> Wolfgang Blau bei Twitter

Geschrieben von David Bauer

7. September 2010 um 18:33

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Change and Uncertainty: Keynote von Jonathan Hewett

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„Es reicht nicht, wenn wir auf Veränderungen reagieren, wir müssen sie proaktiv angehen.“

Hewett zeigt anhand von verschiedenen Analogien, wo sich der Journalismus sich heute befindet und in welche Richtung er sich verändern muss.

1) Elisabeth Kübler-Ross: In „On Death and Dying“ hat die Psychiaterin ein Standardmodell entwickelt, wie Menschen mit Tod und dem Sterben umgehen. Sie beschreibt fünf Phasen des Trauerns: Denial, Anger, Bargaining, Depression, Acceptance. Hewitt lakonisch: „Wir alle kennen Aussagen von Kollegen, die sich genau entlang dieser Phasen bewegen.“

2) Gaskocher: Vor 25 Jahren hat Hewett ein Jahr in Deutschland gelebt und hatte dabei zum Kochen nur einen einzigen Gaskocher zur Verfügung. Ein deutscher Kollege schlug ihm vor, Eintopf zu kochen. Hewetts erster Versuch: Ein Eintopf aus Spaghetti, Kartoffeln und Linsen. Die Analogie zum Journalismus? „Viele Medienhäuser versuchen heute irgendwie Eintopf zu kochen, vermischen alles mögliche, was ihnen gerade in den Sinn kommt.“

3) Grocott’s Mail: 1869 gegründet ist Grocott’s Mail die älteste Zeitung Südafrikas. Traditionell ist bei der Zeitung nicht mehr viel. Mit ihrer Onlineausgabe Grahamstown NOW prägt sie modernen Journalismus an forderster Front mit. Die mobile Applikation bietet neben lokalen News auch viele lokale Services (Mitfahr-Koordination unter Nutzern, Sonderaktionen von lokalen Händlern direkt per SMS an die Leserschaft)

4) Thomas Midgely: Der Chemiker hat zahlreiche Substanzen entdeckt, die heutige Treibstoffe ermöglicht haben und Veränderungen ausgelöst haben, die damals weder er noch andere vorausgesehen haben. Midgely wurde einmal als jene Person kritisiert, die am meisten zur Klimaschädigung beigetragen hat. Die Analogie zum Journalismus: Aktuell finden Veränderungen statt und werden Weichen gestellt, deren Folgen nicht absehbar sind. Dessen müssen sich Journalisten bewusst sein.

Hewett betont mit Blick auf die Zukunft des Journalismus insbesondere die Bedeutung von datengetriebenem Journalismus (data journalism), der öffentlich zugängliche Datenbanken nutzt, hyperlokale Communities aktiviert, stark auf Programmierung und Visualisierung setzt und dem Journalismus neue Möglichkeiten eröffnet. „That might be a million miles away from what we traditionally think journalism is, but it’s hugely important“.

Einfach in Kübler-Ross‘ letzte Phase der „Acceptance“ über zu gehen, könne nicht der richtige Weg sein.

Zur Person: JONATHAN HEWETT
Director of Newspaper Journalism, Graduate School of Journalism, City University London.
> Universitäts-Profilseite
> Hewitts Blog: Hackademic
> Jonathan Hewett bei Twitter

Geschrieben von David Bauer

7. September 2010 um 18:04

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MAZ-Mediapodium: Wozu noch Journalismus?

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Die Frage klingt nach Defensive, das MAZ geht damit heute in die Offensive. Drei hochkarätige Gäste aus dem Ausland sind am Mediapodium im KKL in Luzern zu Gast, um gemeinsam mit Medienschaffenden aus der Schweiz die Frage zu erörtern: Wozu noch Journalismus? Die Gäste: Jonathan Hewett, Director of Newspaper Journalism an der City University of London. Wolfgang Blau, Chefredaktor von ZEIT Online. Jemima Kiss, Medien- und Technologiereporterin bei The Guardian.

Das Datum könnte passender nicht sein: Heute wurden die neuen WEMF-Zahlen veröffentlicht, die der Schweizer Presselandschaft (mit wenigen Ausnahmen) erneut einen Leserschwund bescheinigen (auf sehr hohem Niveau, nach wie vor, notabene). Ist das der gewünschte Justifier für das Podium oder ungewollte Ironie? Wir werden es im Laufe des Abends erfahren.

Eine Vorbemerkung zum Thema des Abends, der Frage: Wozu noch Journalismus?, welche das MAZ in den letzten Wochen bereits zahlreichen prominenten Persönlichenkeiten der Schweiz gestellt hat (die Antworten sind in diesem Blog nachzulesen). Müssen wir als Journalisten diese Frage wirklich stellen? Und sie unter unsergleichen beantworten (das Mediapodium ist leider nur für geladene Gäste)? Wir wissen doch ganz genau, was Journalismus zu leisten vermag und warum er wichtig ist. Die grosse Herausforderung unserer Zeit ist nicht, eine Daseinsberechtigung für den Journalismus zu finden, sondern eine Antwort auf die Frage: WIE hat der Journalismus des 21. Jahrhunderts auszusehen? Ich hoffe sehr, dass diese Frage heute Abend im Zentrum stehen wird. Die richtigen Gäste dazu hat das MAZ allemal eingeladen.

Live vom MAZ-Mediapodium aus dem KKL in Luzern berichtet ab 16:15: David Bauer

Geschrieben von David Bauer

7. September 2010 um 09:17

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Kurt Imhof, Prof. Kommunikationswissenschaften und Soziologie, Universität Zürich

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Kurt Imhof

Kurt Imhof

Wozu noch Journalismus?

Das «noch» in der Frage lässt zwei Interpretationen zu: 1. Es braucht Journalismus im Zeitalter der Netzwerkmedien nicht mehr. 2. Der Journalismus hat so stark an Geltung verloren, dass sein Nutzen fraglich wird.

ad 1: Netzsurfer bilden keine Gesellschaft
Netwerkmedien wie Blogs, Talks und Social Web bilden fluide themenzentrierte Öffentlichkeiten. D.h. sie können die unabdingbaren Grundfunktionen demokratischer Öffentlichkeit nicht selbst erfüllen. Die Demokratie setzt eine medienvermittelte Öffentlichkeit voraus, die als permanenter Entdeckungszusammenhang allgemeinverbindlich zu lösender Probleme, der Kontrolle und Legitimation der politischen Institutionen und der Integration der Bürgerinnen und Bürger dient. Gesellschaftsweite Koorientierung ist ohne dauerhaft institutionalisierte Informationsmedien nicht zu haben ohne diese Koorientierung funktioniert die Demokratie nicht.

ad 2: Der Geltungsverlust stimmt und ist gefährlich.
Das Qualitätsbewusstsein hat sich auf Seiten der Medienmacher wie der Medienkonsumenten massiv verändert, der Journalismus verliert auf fatale Weise an Berufsprestige und die erfahrenen Journalisten in arrivierten Medien haben eine tiefe Berufszufriedenheit. Besonders gravierend sind die Sozialisationseffekte beim Publikum der 15 bis 35 jährigen, die massgeblich über Gratisangebote (Print/Online/Privatradios) die Gesellschaft wahrnehmen. Sie migrieren viel zu wenig auf Bezahlmedien, verunmöglichen dadurch die Geschäftsmodelle, die guten Journalismus finanzieren können und bilden auch die Rekrutierungsgenerationen eines reputationsschädigenden Billig-Journalismus der Rezyklierung von Newssites, in Gratiszeitungen und bei Privatradios. Diese Gattungen haben allesamt nicht genügend Ressourcen für eine professionellen Journalismus.

Fazit: Was braucht die Demokratie?
Wenn den Demokraten die Demokratie lieb ist, dann kommen wir ohne neue Finanzierungsgrundlagen für guten Journalismus nicht aus. Professioneller Journalismus ist der wichtigste Service public in Demokratien. Nötig ist das Folgende: 1. Die primären Träger der Publizistik sind neben den öffentlichen Medien die Abonnementszeitungen. Deren Geschäftsmodell funktioniert freilich nicht mehr. Wir müssen zu einem Mediensystem kommen, das durch staatliche und zivilgesellschaftliche Mittel (im Rahmen einer eidgenössischen Stiftung) auf der Basis von Qualitätskriterien guten Journalismus – unabhängig von seinen Plattformen – fördert. 2. Die Selbstkannibalisierung des professionellen Journalismus durch Gratismedien muss on- und offline beendet werden. Auch die Medienkonsumenten müssen lernen, dass guter Journalismus nicht gratis zu haben ist. 3. Es braucht eine unabhängige Medienbeobachtung, die die Qualitätsstandards erarbeitet und prüft, auf deren Basis die Finanzierung eines professionellen Journalismus gesichert werden kann.

Geschrieben von Maz Blogger

7. September 2010 um 08:47

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Louis Schelbert, Nationalrat, antwortet dem MAZ

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Louis Schelbert

Louis Schelbert, Nationalrat

Die erzählte Geschichte ist eine anthropologische Konstante. Heute gibt es sie vom Mund zum Ohr so gut wie via Satellit. Was technisch dazu kam, wurde zur Ergänzung.

Der Univox-Bericht 2009 sagt: Zwei Drittel der Bevölkerung schauen täglich TV, 60 Prozent lesen jeden Tag Zeitung und 46 Prozent hören täglich Radio. Journalismus wird also genutzt – und er ist notwendig. Journalistinnen wählen aus der Unendlichkeit der Informationsfülle aus. Sie stellen in einem handhabbaren Rahmen Wichtiges übersichtlich dar, gewichten, kommentieren. Zeitungen oder Radios auf der Höhe der Zeit führen über sich hinaus, kombinieren mit andern Medien wie dem Internet, wo quasi unendlich Stoff abrufbereit lagert.

Die Vielfalt leidet unter den Gesetzen des Marktes. Heute gehören Medien jeglichen Zuschnitts zum gleichen Haus. Doch ohne Divergenz keine Einheit, so einfach und kompliziert ist es. In der Medienkonzentration sehe ich die grösste Gefahr. Journalismus muss der Aufrechterhaltung der Vielfalt dienen. Das gilt weltweit und liegt auch im Interesse der Demokratie.

Geschrieben von Maz Blogger

2. September 2010 um 16:07

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Peter Stamm, Schriftsteller zur MAZ-Frage „Wozu noch Journalismus?“

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Peter Stamm, Schriftsteller

Die Journalistin, den Journalisten, die es auch in Zukunft brauchen wird, sind nicht primär jene, die PR-Texte bearbeiten, Agenturmeldungen auswählen oder Lifestyle-Kolumnen verfassen. Was kein Pressesprecher, keine Agentur und kein Blogger den Journalisten abnehmen kann, sind die Recherche, die Analyse, der eigenständige Kommentar.

Je mehr Journalistinnen und Journalisten in die Kommunikationsberatung und in die Public Relations abwandern, desto dringender brauchen wir die übrigen, die aus den leeren aber immer effektiveren Texten, mit denen Politiker und Wirtschaftsunternehmen uns abfüttern, die Wahrheit oder die Unwahrheit herausdestillieren. Dafür braucht es nicht nur hohe Sachkenntnis, sondern immer dringender ein gutes Ohr für Sprache und eine Genauigkeit im Schreiben. Denn die Arbeit am Text ist immer auch eine Arbeit am Gedanken.
(Foto: Gaby Gerster)

Geschrieben von Maz Blogger

30. August 2010 um 16:15

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Achille Casanova, già Vicecancelliere della Confederazione e Portavoce del Consiglio federale. Ombudsmann DRS

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Achille Casanova

Achille Casanova

Per qualcuno che per quasi cinquant’anni ha operato nel e con il giornalismo, la domanda può sembrare inutilmente provocatoria. Non è infatti facile mettere in dubbio il lavoro di una vita.

Eppure con l’avvento sempre più incisivo di internet, Twitter, Facebook, SMS ed altri simili strumenti di comunicazione la domanda è legittima e importante. Al giorno d’oggi con un semplice click ci si culla nell’illusione di essere informati su tutto quello che succede. Per di più gratuitamente. E allora, perché permetterci ancora un costoso giornalismo?

Eppure, proprio perché le informazioni corrono con la velocità dell’elettronica, il giornalismo assume ancora maggior importanza. Non per niente lo stesso Presidente Obama ha recentemente espresso il suo scetticismo nei confronti dei «New Media». In un discorso davanti agli studenti dell’università di Hampton il Presidente americano ha sottolineato che i media moderni ci bombardano 24 ore al giorno e per 7 giorni alla settimana con infiniti contenuti ed argomenti, di cui molti non corrispondono alla realtà. Con strumenti quali iPods e iPads, Xboxen e PlayStations le informazioni diventano diversione e intrattenimento e non sono più veicolo di emancipazione e di sviluppo personale. Ciò non è grave solo per i giovani, ma anche per la stessa democrazia.

Il ruolo del giornalismo e del giornalista rimane dunque estremamente importante. Cercare le informazioni, selezionarle, valutarle, spiegarle, inserirle nel loro contesto e commentarle rimane una impellente necessità di fronte ad una realtà politica, economica e sociale sempre più complessa. La funzione del giornalista di esaminare in modo critico quanto i detentori del potere dicono e fanno, rimane essenziale per il buon funzionamento della democrazia. Che questo lavoro sia sempre più difficile in un periodo come l’attuale, caratterizzato da difficoltà economiche di stampa scritta, radio e televisione, non incide sulla necessità di dover continuare a disporre di un giornalismo di qualità.

Preoccupa nondimeno che, stando a recenti sondaggi, giornalisti e media arrivino all’ultimo posto della graduatoria per quel che concerne la credibilità. Un fatto questo che deve far riflettere e che conferma l’importanza della formazione dei giornalisti ma anche della difesa dei veri valori del giornalismo nei confronti di pur legittime preoccupazioni pecuniarie.

Geschrieben von Maz Blogger

26. August 2010 um 09:32

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Valentin Gröbner, Professor am Historischen Seminar der Universität Luzern

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Valentin Gröbner

Valentin Gröbner

In der feedback-Schlaufe

Worauf bezieht sich das «noch» in der Frage «Wozu noch Journalismus?» Als Historiker würde ich sagen: auf das Jahr 1964. Damals, im selben Jahr wie Marshall McLuhans «Understanding Media», erschien ein Buch von Stanislaw Lem, das «Summa Technologiae» hiess – keiner der Science Fiction-Romane, die den Polen berühmt gemacht haben, sondern ein höchst ernsthafter Versuch zur Logik technischer Entwicklungen. Darin gibt es ein lesenswertes Kapitel zur Informationsexplosion, die Lem in ironischer Parallele zum Rüstungswettlauf des Kalten Kriegs «die Megabit-Bombe» nennt. Was geschieht in einer Gesellschaft, wenn plötzlich unendlich viel Information für alle verfügbar wird, weit mehr als je gelesen, ausgewertet und verarbeitet werden kann?

Im Jahr darauf erschien Michael Frayns Roman «Tin Men». Der formulierte sozusagen die Antwort auf Lems Frage nach den Wirkungen der Informationsflut, und die hiess: elektronische Datenverarbeitung, medial umgesetzt. Das «William Morris Institute of Automation Research» entwickelt eine gewaltige Rechenmaschine, die komplette Zeitungen voller aktueller Nachricht produzieren kann. Der Supercomputer in Frayns Roman arbeitet unabhängig davon, was tatsächlich geschieht; er wertet vielmehr Umfragergebnisse aus, welche Berichte beim Publikum den grössten Erfolg gehabt haben, und variiert sie dann nach den Wünschen der Leser. Soll es jeden Monat einen Flugzeugabsturz geben oder öfter? Soll das Opfer im täglichen Mordfall ein kleines Mädchen, eine alte Dame oder eine schwangere junge Frau sein? Damit, so der strahlende Chef des Forschungsinstituts, werde es erstmals möglich, Zeitungen ökonomisch erfolgreich und gleichzeitig kostengünstig zu produzieren. Sein Untergebener, Spezialist für automatisierte Sportberichterstattung, träumt währenddessen davon, eine Roman zu schreiben, verbringt aber seine Zeit damit, hymnische Rezensionen auf sein eigenes literarisches Meisterwerk zu verfassen, das noch nicht existiert, plus vorgebliche Interviews mit dem hochbegabten Autor.

Die Abkopplung des Medialen und seine Selbstbestätigung in feedback-Schlaufen sind also möglicherweise um einiges älter als das Internet und die digitale Bauchrednerei in den Blogs. In der Online-Ausgabe des «Tages-Anzeigers» und einiger anderer Nachrichtenportale erscheinen heute diejenigen Schlaglinien zuoberst, die am häufigsten angeklickt werden – Michael Frayn und Stanislaw Lem hätte das eingeleuchtet. Wahrscheinlich steckt darin eine gute Nachricht. Unsere Befürchtungen über die Zukunft sind so eindringlich wirksam, weil wir sie schon kennen, aus der Vergangenheit. Der Boom des Medienbranche in den 1960er-Jahren war von Beginn an begleitet von düsteren dystopischen Prophezeiungen über die drohende Herrschaft von Simulation und Manipulation. Interessanterweise erscheinen ganz ähnliche Szenarien heute wieder, wenn von sinkenden Auflagen, schrumpfenden Anzeigeneinnahmen und der Verflüssigung aller Inhalte in der Bannerwerbung und Klick-Ökonomie des Internets die Rede ist.

Nachrichten und der Glaube an sie sind dem Fiktiven eng verbunden; möglicherweise sind sie einfach das moderne Gegenstück zur Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Nachrichten gleichen insofern religiösen Ritualen der Vormoderne, als sie ihren Konsumenten eine temporäre Ablenkung von alltäglichen Routinen verschaffen und die ebenso konstante Illusion einer Begegnung mit Ereignissen, die sehr viel grösser, authentischer und relevanter erscheinen als die eigenen. Wie religiöse Traktate und Predigten früherer Jahrhunderte, so hat der boshafte Peter Carey 1987 geschrieben, versorgten Nachrichten ihr Publikum mit einer konstanten Folge von Ereignissen, die sich jenseits des unmittelbaren Alltags- und Wahrnehmungshorizonts abspielen. Und wie die Schreckbilder der vormodernen Religiosität seien diese Nachrichten gerade dann beruhigend, wenn sie von Schrecklichem berichteten; denn dieses Bedrohliche lasse das Vertraute des eigenen Alltags umso spürbarer werden, und lasse sich obendrein dazu gebrauchen, der eigenen Gruppe den Status eines bedrohten Opfers zuzuschreiben. Der Bezug aufs vertraute Lokale steigert diese Wirkung noch – das hätte man den Bettelordenspredigern des 14. und den Flugblattschreibern des 16. Jahrhunderts nicht extra erklären müssen. Michael Frayns «Tin Men» auch nicht.

Was passiert nun, wenn der Journalismus sich heute seiner eigenen Krise annimmt? Nachrichten haben jenseits ihrer selbstgemachten Echo-Schlaufen auch reale Effekte – und zwar gerade dann, wenn es Rückkopplung geht. Im eigenen Alltag und gerade im vielgerühmten lokalen Kontext nimmt das häufig eher unangenehme Formen an. Denn auch das ist eine weitverbreitete Erfahrung der letzten Jahrzehnte: Wenn etwas als Nachricht und «Geheimtipp» in der Zeitung kam, war es damit vorbei – das schöne Wohnquartier mit den billigen Mieten, der stille Badeplatz am See, der gute Ort zum Essen oder zum Tanzengehen. Der Ort wurde dadurch anders, dass der Journalismus ihn entdeckte, und das, so wussten alle Beteiligten, war ein unumkehrbarer Prozess. Mediale Berichterstattung hat die Macht, ihre Gegenstände – das gilt für vergnügte Untergrund-Bands ebenso wie für „unberührte“ Ausflugsziele – in eigenartig unechte und grelle Kopien ihrer selbst zu verwandeln. Da ist es mir eigentlich fast lieber, wenn sich die Journalisten vornehmlich mit Selbstaufgeblasenem befassen, da kann nichts kaputtgehen. Und ihre Inhalte mit jener fiktiven Wunderwelt abstimmen, die die Ökonomie aller Nachrichtenmedien in den letzten Jahrzehnten stark mitbestimmt hat und die zum Wirklichkeitsgehalt der Nachrichten in einem interessanten dialektischen Kontrast steht – der Werbung.

Oder doch nicht? In jeder Stadt, die mehr als eine halbe Million Einwohner hat, so hat Sven Omdal, Chefredakteur der angesehehen norwegischen Zeitung Samtiden unlängst geschrieben, nimmt die politische Korruption massiv zu, wenn es dort keine Tageszeitung mehr gibt, die diesen Namen verdient.

Wenn Sie ihn verdient.

Haben Sie schon einmal einen guten investigativen Artikel im Internet gefunden, einfach so? Ach ja, wikileaks. Aber wo haben Sie davon gelesen?

Willkommen im Jahr 1964. Wo sind eigentlich die Beatles?

Geschrieben von Maz Blogger

23. August 2010 um 08:38

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Corinne Schmidhauser, Anwältin, Präsidentin Antidoping Schweiz, Grossrätin Kt. Bern, ehem. Skirennfahrerin

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corinne schmidhauser

corinne schmidhauser

Guten Journalismus heute
Wir sind mitten in einer Informationsinflation, einer Inflation des Halbwissens auch, des schon-mal-irgendwo-gelesen-haben’s, meist on- manchmal auch offline. Das «Informationsmonopol» ist den Journalisten längst abhanden gekommen. Immer wichtiger deshalb für mich als Userin: kann ich der Quelle meiner Informationen trauen? Was ist wahr und was ist cyper-(trash) talk?

Seriöse Wissensvermittlung scheint mir wichtiger denn je.
Verantwortungsvolles umgehen mit den Quellen – zentral!
Aber guter Journalismus ist mehr: Dieser Journalist, diese Journalistin gibt mir das Gefühl, sie habe nachgedacht, bevor sie geschrieben oder gesendet hat. Er gibt mir die Sicherheit, dass er akribisch korrekt recherchiert hat, sie lässt mich mit ihren Augen  Zusammenhänge erkennen, lässt mich mein Halbwissen verifizieren oder dementieren und das Vertrauen gewinne ich, weil er auch den Genitiv und die Orthografie kennt. Durchaus spielerisch, durchaus modern, aber bitte in einer Sprache, nicht im Slang des Porträtierten.
Das möchte ich lesen, das möchte ich hören oder sehen – das bin ich auch bereit zu honorieren. Aber nur das. Lässig hingeworfenes Halbwissen, schlecht recherchierte, oder schlimmer, falsch zitierte, Quellen, schludrig geschriebene Essays, sprachlich in falschen Bildern aufbereitet – ärgern mich und lassen mich die Seite drehen oder weiterklicken. Das bekomme ich ohne weiteres auch im Facebook, auf Twitter, überall halt. Kostenlos. Vertrauenslos.
Ich weiss, die Ansprüche sind hoch und ich weiss auch, dass die Wirtschaftlichkeit dieses hohen Gutes (noch) nicht überall erkannt ist. Aber ich bin überzeugt, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird, weil das eine hat keinen Mehrwert (mehr) in unserer vernetzten Welt. Ich glaube, dass die allgemeine Verfügbarkeit von Informationshäppchen eine Chance ist für den qualitativen Journalismus. Aber nur für ihn. Das ist ein Wunsch und ein Ziel zugleich. Ein lohnenswertes Ziel finde ich. Denn ich gebe es gerne zu, ich schätze guten Journalismus ausserordentlich, für mich persönlich, aber mehr noch, für unsere Gesellschaft als Ganzes.

Geschrieben von Maz Blogger

20. August 2010 um 11:35

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