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Archiv von der ‘Kultur’ Kategorie

Jürg Halter, Dichter und Musiker (Kutti MC)

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Juerg Halter (Kutti MC)

Juerg Halter (Kutti MC)

Formen und Inhalte? Wer besitzt welches Medium? Das Gegebene nicht als das Gegebene betrachten.

Durch das Internet, mit all seinen Seiten, Blogs und Foren, nimmt die Medienvielfalt zahlenmässig weiter zu, gleichzeitig wird es immer aufwendiger qualitativ Relevantes in all dem Müll zu finden.

Denn jeder hat eine Meinung, jeder kann sich selbstgerecht als Meinungsmacher hervortun, aber die wenigsten von ihnen haben eine ihrem Gegenstand entsprechende Kompetenz. Eine gefährliche Entwicklung. Billigmeinungen für Gratiskonsumenten. Viertelwissen für Viertelwissende.

Die Frage stellt sich: Will uns jemand von wirklich Entscheidenden ablenken?

Heroische, weil unkorrumpierbare Journalisten braucht es also mehr denn je. Andererseits muss der Konsument wieder vermehrt bereit dazu sein, den gebührenden Preis dafür zu bezahlen. Qualität gibt es nicht gratis. Eine verantwortungsbewusste Recherche besteht nicht aus Copy-Paste.

Ein ständig sich selbst, die Sprache und seine Quellen hinterfragender Journalist ist ein Held. Einer, der sich täglich höchst kritisch der Flut an Informationen stellt; auswählt, vergleicht, nachvollziehbar darüber urteilt, aufklärt. Einer, der dem Konsumenten nicht sagt, was er hören will, sondern was Sache ist. Einer, der einer immer zu hinterfragenden Wahrheit, statt dem Publikum dient, dieses also aufrichtig ernst nimmt. Und somit auch sich selbst.
Solch konsequente Helden sind selten, aber zu jeder Zeit unbedingt nötig. Nicht zuletzt zur Aufrechterhaltung oder Einforderung einer Demokratie.

(c) Fotograf: Matthias Günter

http://www.juerghalter.com

Geschrieben von Maz Blogger

24. September 2010 um 09:01

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Wozu noch Journalismus? Michael Elsener antwortet dem MAZ

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Statement am Mediapodium 2010 des MAZ – Der Schweizer Journalistenschule von Michael Elsener, Kabarettist

Geschrieben von Maz Blogger

9. September 2010 um 09:53

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Peter Stamm, Schriftsteller zur MAZ-Frage „Wozu noch Journalismus?“

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Peter Stamm, Schriftsteller

Die Journalistin, den Journalisten, die es auch in Zukunft brauchen wird, sind nicht primär jene, die PR-Texte bearbeiten, Agenturmeldungen auswählen oder Lifestyle-Kolumnen verfassen. Was kein Pressesprecher, keine Agentur und kein Blogger den Journalisten abnehmen kann, sind die Recherche, die Analyse, der eigenständige Kommentar.

Je mehr Journalistinnen und Journalisten in die Kommunikationsberatung und in die Public Relations abwandern, desto dringender brauchen wir die übrigen, die aus den leeren aber immer effektiveren Texten, mit denen Politiker und Wirtschaftsunternehmen uns abfüttern, die Wahrheit oder die Unwahrheit herausdestillieren. Dafür braucht es nicht nur hohe Sachkenntnis, sondern immer dringender ein gutes Ohr für Sprache und eine Genauigkeit im Schreiben. Denn die Arbeit am Text ist immer auch eine Arbeit am Gedanken.
(Foto: Gaby Gerster)

Geschrieben von Maz Blogger

30. August 2010 um 16:15

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Valentin Gröbner, Professor am Historischen Seminar der Universität Luzern

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Valentin Gröbner

Valentin Gröbner

In der feedback-Schlaufe

Worauf bezieht sich das «noch» in der Frage «Wozu noch Journalismus?» Als Historiker würde ich sagen: auf das Jahr 1964. Damals, im selben Jahr wie Marshall McLuhans «Understanding Media», erschien ein Buch von Stanislaw Lem, das «Summa Technologiae» hiess – keiner der Science Fiction-Romane, die den Polen berühmt gemacht haben, sondern ein höchst ernsthafter Versuch zur Logik technischer Entwicklungen. Darin gibt es ein lesenswertes Kapitel zur Informationsexplosion, die Lem in ironischer Parallele zum Rüstungswettlauf des Kalten Kriegs «die Megabit-Bombe» nennt. Was geschieht in einer Gesellschaft, wenn plötzlich unendlich viel Information für alle verfügbar wird, weit mehr als je gelesen, ausgewertet und verarbeitet werden kann?

Im Jahr darauf erschien Michael Frayns Roman «Tin Men». Der formulierte sozusagen die Antwort auf Lems Frage nach den Wirkungen der Informationsflut, und die hiess: elektronische Datenverarbeitung, medial umgesetzt. Das «William Morris Institute of Automation Research» entwickelt eine gewaltige Rechenmaschine, die komplette Zeitungen voller aktueller Nachricht produzieren kann. Der Supercomputer in Frayns Roman arbeitet unabhängig davon, was tatsächlich geschieht; er wertet vielmehr Umfragergebnisse aus, welche Berichte beim Publikum den grössten Erfolg gehabt haben, und variiert sie dann nach den Wünschen der Leser. Soll es jeden Monat einen Flugzeugabsturz geben oder öfter? Soll das Opfer im täglichen Mordfall ein kleines Mädchen, eine alte Dame oder eine schwangere junge Frau sein? Damit, so der strahlende Chef des Forschungsinstituts, werde es erstmals möglich, Zeitungen ökonomisch erfolgreich und gleichzeitig kostengünstig zu produzieren. Sein Untergebener, Spezialist für automatisierte Sportberichterstattung, träumt währenddessen davon, eine Roman zu schreiben, verbringt aber seine Zeit damit, hymnische Rezensionen auf sein eigenes literarisches Meisterwerk zu verfassen, das noch nicht existiert, plus vorgebliche Interviews mit dem hochbegabten Autor.

Die Abkopplung des Medialen und seine Selbstbestätigung in feedback-Schlaufen sind also möglicherweise um einiges älter als das Internet und die digitale Bauchrednerei in den Blogs. In der Online-Ausgabe des «Tages-Anzeigers» und einiger anderer Nachrichtenportale erscheinen heute diejenigen Schlaglinien zuoberst, die am häufigsten angeklickt werden – Michael Frayn und Stanislaw Lem hätte das eingeleuchtet. Wahrscheinlich steckt darin eine gute Nachricht. Unsere Befürchtungen über die Zukunft sind so eindringlich wirksam, weil wir sie schon kennen, aus der Vergangenheit. Der Boom des Medienbranche in den 1960er-Jahren war von Beginn an begleitet von düsteren dystopischen Prophezeiungen über die drohende Herrschaft von Simulation und Manipulation. Interessanterweise erscheinen ganz ähnliche Szenarien heute wieder, wenn von sinkenden Auflagen, schrumpfenden Anzeigeneinnahmen und der Verflüssigung aller Inhalte in der Bannerwerbung und Klick-Ökonomie des Internets die Rede ist.

Nachrichten und der Glaube an sie sind dem Fiktiven eng verbunden; möglicherweise sind sie einfach das moderne Gegenstück zur Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Nachrichten gleichen insofern religiösen Ritualen der Vormoderne, als sie ihren Konsumenten eine temporäre Ablenkung von alltäglichen Routinen verschaffen und die ebenso konstante Illusion einer Begegnung mit Ereignissen, die sehr viel grösser, authentischer und relevanter erscheinen als die eigenen. Wie religiöse Traktate und Predigten früherer Jahrhunderte, so hat der boshafte Peter Carey 1987 geschrieben, versorgten Nachrichten ihr Publikum mit einer konstanten Folge von Ereignissen, die sich jenseits des unmittelbaren Alltags- und Wahrnehmungshorizonts abspielen. Und wie die Schreckbilder der vormodernen Religiosität seien diese Nachrichten gerade dann beruhigend, wenn sie von Schrecklichem berichteten; denn dieses Bedrohliche lasse das Vertraute des eigenen Alltags umso spürbarer werden, und lasse sich obendrein dazu gebrauchen, der eigenen Gruppe den Status eines bedrohten Opfers zuzuschreiben. Der Bezug aufs vertraute Lokale steigert diese Wirkung noch – das hätte man den Bettelordenspredigern des 14. und den Flugblattschreibern des 16. Jahrhunderts nicht extra erklären müssen. Michael Frayns «Tin Men» auch nicht.

Was passiert nun, wenn der Journalismus sich heute seiner eigenen Krise annimmt? Nachrichten haben jenseits ihrer selbstgemachten Echo-Schlaufen auch reale Effekte – und zwar gerade dann, wenn es Rückkopplung geht. Im eigenen Alltag und gerade im vielgerühmten lokalen Kontext nimmt das häufig eher unangenehme Formen an. Denn auch das ist eine weitverbreitete Erfahrung der letzten Jahrzehnte: Wenn etwas als Nachricht und «Geheimtipp» in der Zeitung kam, war es damit vorbei – das schöne Wohnquartier mit den billigen Mieten, der stille Badeplatz am See, der gute Ort zum Essen oder zum Tanzengehen. Der Ort wurde dadurch anders, dass der Journalismus ihn entdeckte, und das, so wussten alle Beteiligten, war ein unumkehrbarer Prozess. Mediale Berichterstattung hat die Macht, ihre Gegenstände – das gilt für vergnügte Untergrund-Bands ebenso wie für „unberührte“ Ausflugsziele – in eigenartig unechte und grelle Kopien ihrer selbst zu verwandeln. Da ist es mir eigentlich fast lieber, wenn sich die Journalisten vornehmlich mit Selbstaufgeblasenem befassen, da kann nichts kaputtgehen. Und ihre Inhalte mit jener fiktiven Wunderwelt abstimmen, die die Ökonomie aller Nachrichtenmedien in den letzten Jahrzehnten stark mitbestimmt hat und die zum Wirklichkeitsgehalt der Nachrichten in einem interessanten dialektischen Kontrast steht – der Werbung.

Oder doch nicht? In jeder Stadt, die mehr als eine halbe Million Einwohner hat, so hat Sven Omdal, Chefredakteur der angesehehen norwegischen Zeitung Samtiden unlängst geschrieben, nimmt die politische Korruption massiv zu, wenn es dort keine Tageszeitung mehr gibt, die diesen Namen verdient.

Wenn Sie ihn verdient.

Haben Sie schon einmal einen guten investigativen Artikel im Internet gefunden, einfach so? Ach ja, wikileaks. Aber wo haben Sie davon gelesen?

Willkommen im Jahr 1964. Wo sind eigentlich die Beatles?

Geschrieben von Maz Blogger

23. August 2010 um 08:38

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Daniel de Roulet, Schriftsteller

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Daniel de Roulet

Daniel de Roulet

Les journalistes exercent un métier né avec les révolutions bourgeoises de la fin du 17ème siècle. Ils ont accompagné ces révolutions de manière critique. Maintenant que les révolutions bourgeoises virent au populisme, elles n’ont plus besoin du journalisme. Quelques potins people, blogs et talks suffisent. Ce n’est donc pas une question de technologie, comme on veut le faire croire, c’est une question politique.

Chaque fois que je connais quelque chose à un sujet et que je le vois traité par un journaliste, je ne le reconnais plus. Les journalistes désormais sont paresseux, se copient les uns les autres, ne se donnent plus la peine d’enquêter, de lire ou de voir sur place ce dont ils nous parlent. Ils se cachent derrière les progrès de l’ère digitale pour crier misère, alors que s’ils disparaissent c’est parce que leur fonction historique se termine. Quand je rencontre un journaliste il est sympathique et souriant mais très vite il me parle de son métier qui, dit-il, est menacé. Comme si le métier des autres n’était pas menacé, comme si, lui ou elle, journaliste n’avait pas pendant des années expliqué aux autres qu’ils devaient être mobiles, globalisés, adaptés. Maintenant ils voudraient qu’on les plaigne. Si ces énervés, consensuels et gouvernementaux, disparaissent, je m’en réjouirais. Il en restera peut-être quelques-uns, ceux qui pensent par eux-mêmes, qui ne se croient pas omniscients et au service de la langue de leurs maîtres. Mais ceux-là ne seront plus journalistes. Ce seront à nouveau des intellectuels, capables de prendre des risques sans être couchés (embedded) dans le lit du pouvoir. Avec leur langue et leurs yeux pour voir et même pour pleurer

Geschrieben von Maz Blogger

5. August 2010 um 08:59

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Milena Moser antwortet dem MAZ

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Milena Moser

Journalisten erklären die Welt. So, dass man sie versteht. Das ist eine Vertrauensposition. Sie setzt voraus, dass Journalisten wissen, worüber sie schreiben. Dass sie selber hinschauen, nachdenken und Schlüsse ziehen – ohne die Copy-Paste-Funktion zu verwenden. Das braucht Zeit, und das braucht Geld.
Die Antwort ist eineinhalb Kilo schwer und heisst «The San Francisco Panorama» – ein 320 Seiten starkes Experiment des Schriftstellers Dave Eggers («Ein herzzerreissendes Werk von umwerfender Genialität»), der einfach einmal zeigen wollte, was wirklich möglich ist. Was eine Zeitung – im Gegensatz zum Internet – sein kann. Zusammen mit befreundeten arbeitslosen Journalisten kreierte er ein wahres Meisterwerk: mit Originalcomics, hundert Seiten Literaturbeilage, einem sechzehnseitigen Essay von Stephen King über ein Football-Spiel, mit herausnehmbaren Postern, Tusch- Illustrationen, auf grünem und rosa Papier gedruckt und in einem Format, das eigentlich nur auf einem altmodischen Lehnsessel ganz auseinandergefaltet werden kann. Dafür lagen gleich zwei handliche Magazine bei, eines allein für Reportagen.
Das «San Francisco Panorama» war satt mit Anzeigen gespickt und in wenigen Stunden ausverkauft. Eggers schloss daraus, dass Leser durchaus bereit sind, mehr für eine Zeitung zu bezahlen, solange sie auch mehr von ihr bekommen. Fehlt nur noch jemand, der bereit ist, so eine Zeitung auch zu machen. Jeden Tag.

Geschrieben von Maz Blogger

28. Juni 2010 um 15:14

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Ludwig Hasler antwortet dem MAZ

2 Kommentare

Ludwig Hasler

Fragen wir doch gleich: Wozu noch Demokratie? Solange das Volk in allen wichtigen Fragen das letzte Wort hat, braucht es Informationen, die nicht aus PR-Abteilungen kommen, Argumente, die nicht von Interessenvertretern vorgekaut sind. Für diesen Service public bleibt Journalismus die erste Adresse – gerade im Zeitalter der digitalen «Schwarmintellingenz»: Wenn angeblich jede Information jederzeit verfügbar wird, wächst das Bedürfnis nach einer Autorität, die auswählt, nachforscht, durchblickt, klug, scharfzüngig, erhellend formuliert.

Die Frage wirkt also rhetorisch – und taugt doch zur Klärung des Selbstverständnisses. Journalisten sind selber schuld, wenn die Blogosphäre gerade für intelligente Zeitgenossen interessanter wird als das routinierte Einerlei mancher Tagesmedien; sie machen sich selber überflüssig, wenn sie bloss weiter reichen, was ins Netz gestellt, in Communiques geschrieben wird. Journalismus überlebt als Aufmischer der Infoklumpen, als intelligentes Ferment der Meinungsträgheit. Er muss weg von der einschläfernden Konsenskultur – hin zur Lust auf Dissens, zum Anzetteln leidenschaftlicher Debatten. Journalismus als Fegefeuer der Denkfaulheit: unabhängig, engagiert, unverschämt.

Ludwig Hasler, Publizist, Philosoph

Geschrieben von Maz Blogger

24. Juni 2010 um 14:13

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Peter von Matt antwortet dem MAZ

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Peter von Matt

Man muss unterscheiden zwischen dem Medium und der gesellschaftlichen Aufgabe des Journalismus. Die Medien ändern sich. Wie sie das tun, zeichnet sich in der Tendenz ab. Wie sehr sie es tun werden, ist nicht vorherzusagen. Der gänzliche Untergang der Printmedien ist unwahrscheinlich, eine stärkere funktionale Ausdifferenzierung dagegen anzunehmen. Dies hängt zusammen mit der gesellschaftlichen Aufgabe des Journalismus. Information über das jeweils Neue kann jedes Medium liefern.

Information mit Einordnung in die relevanten Kontexte aber, mit systematischer Prüfung der Stichhaltigkeit, mit Abwägung der möglichen Konsequenzen und Reflexion der historischen Bedingungen erbringt nur der Qualitätsjournalismus. Dieser steht einerseits den Blogs gegenüber, in denen über alles irgendwas gesagt wird, und andererseits den Talks, in denen möglichst Kontroverses möglichst laut gesagt wird. Beide blockieren die folgerichtige Analyse. Für diese braucht es den Journalismus von Rang.

Peter von Matt, Publizist und emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Zürich

Geschrieben von Maz Blogger

16. Juni 2010 um 12:25

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