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Salvador Atasoy, Doktorand der Universität Zürich und Journalist bei SRDRS / Information

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Salvador Atasoy

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Braucht es künftig noch Journalistinnen und Journalisten?

Wer mit «Nein» antwortet, will heute nicht mehr nur provozieren. Er kann auch auf eine Reihe guter Argumente verweisen.
Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels aus Wissenschaft und journalistischer Praxis erklären:

Betrachten wir dazu den Lifestyle-, genauer den Modediskurs (analog zum Politik- oder Wirtschafts-Diskurs). Dieser Diskurs ist wie kein anderer den gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen. Etwaige Konsequenzen der Digitalisierung und damit der «Demokratisierung» der Kommunikation, wenn wir sie der Einfachheit so nennen wollen, lassen sich an diesem Diskurs besonders gut aufzeigen.

Der Medientheorie nach liegt die Deutungshoheit des medialen (Mode-)Diskurses beim (Mode-)Journalisten. In der Praxis sieht das wie folgt aus: Die Modeindustrie präsentiert ihre Kreationen an Modeschauen in Mailand und Paris. Der Journalist sitzt in der ersten Reihe. Er rapportiert und interpretiert. Seine Berichterstattung bestimmt den medialen Diskurs. Zumindest war das bis anhin so.

Seit ein paar Jahren werden Journalisten zunehmend von Menschen mit Netbooks und Digitalkameras verdrängt. Diese meist jungen Leute haben in der Regel keine journalistische Ausbildung mehr. Die journalistische Haltung kennen sie folglich nicht, denn sie produzieren nur noch für ihre eigenen Medien – sprich Blogs, Podcasts, Newsletters u.a..

Kaum ist die Mode-Schau vorbei, stehen Fotos und Informationen dezentral zur Nutzung online. Für immer mehr interessierte Rezipienten findet der Mode-Diskurs deshalb auch oder gar ausschliesslich online statt. Die Mode-Industrie hat reagiert und lädt Blogger gezielt zu Modeschauen ein. Was klassische Modemagazine Wochen später berichten, ist für viele Rezipienten daher keine wissenswerte Neuigkeit mehr.

Der Theorie nach hat der (Mode-)Journalist damit die Deutungshoheit über den medialen (Mode-)Diskurs verloren. Ähnliches ist dereinst im Wirtschafts- und Politik-Diskurs denkbar. Die zu Beginn gestellte Frage könnte daher auch lauten: Kann der Journalist die Deutungshoheit über den medialen Diskurs zurück gewinnen? Und wenn ja, wie?

Die Überlegung der Medientheoretiker und Verleger, der Journalist müsse nur professionell und multimedial alle Kanäle bedienen um Blogger zu überstimmen, greift wohl etwas zu kurz. Denn alleine mit Überpräsenz, Geschwindigkeit und Penetranz lässt sich keine Deutungshoheit mehr herstellen. In der Theorie funktioniert dies nur in absoluten Herrschaften – in der Praxis gar nicht. Ganz abgesehen davon sind die Nicht-Journalisten in der digitalen Welt längst in der Überzahl.

Die Digitalisierung verändert den medialen Diskurs, sie definiert ihn neu. Warum also sollte die Medientheorie nicht auch den Journalismus und das journalistische Verständnis neu definieren, um der Deutungshoheit über den eigenen Diskurs gerecht zu werden? Folgende Punkte müsste man dabei beachten:

Die «News», das Ereignis findet heute 24/7 statt. Der Rezipient ist nicht mehr an einzelne Medien oder Distributionskanäle gebunden. Der Rezipient wird mit Informationen überhäuft, das einzelne Ereingis verliert an Wichtigkeit. Die Gesellschaft besteht aus hochspezialisierten Individuen.

Der Theorie nach hätte dies für den Journalismus folgende Konsequenzen: Das Gate-Keeping wird noch wichtiger. Der Journalismus muss professioneller werden – Analyse, Recherche, Erfahrung, Wissen, vernetztes Denken und Quellenpflege werden zum Wettbewerbsvorteil. Universitäres Denken und journalistische Praxis müssen enger verknüpft werden. Der Journalismus wird teurer.

Dies hätte Folgen für die journalistische Praxis. Ein Ereignis wäre künftig nur noch Denkanstoss und nicht mehr Hauptinhalt einer Geschichte. Neue Verbreitungstechniken, Stichwort «iPad», bestimmen die Art des medialen Diskurses. Team-Arbeit, denkbar auch in Zusammenarbeit mit Universitäten, wie dies in den USA bereits probiert wird, würde in den Vordergrund rücken.

Die Vision heisst folglich nicht unbedingt «Newsroom» sondern «Think-Teams». Die Deutungshoheit des Diskurses würde dann nicht mehr dem Journalisten, sondern einer kollaborierenden Gruppe unterliegen. Hierin liegt eine der Stärken der traditionellen journalistischen Arbeit. Denn das Internet ist dezentral organisiert. Lokale Teamarbeit ist die Schwäche des «Web 2.0».

Geschrieben von Maz Blogger

17. September 2010 um 09:39

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